NS-Zeit: Eine Entschuldigung an die Jugendlichen der Gen Z  

Als sogenannte Babyboomerin trennen mich Jahrzehnte von der Gen Z, wie um die Jahrtausendwende geborenen Jugendlichen auch genannt werden. Vereinfacht werden sie so charakterisiert: stets online und mit dem Handy unterwegs, ihnen steht die Welt offen. Sie sind umweltbewusst und oft ungeduldig bis wütend auf die Älteren. Was haben die noch am Hut mit dem 2.Weltkrieg und dem Nationalsozialismus? Sie werden als die vierte Generation nach Kriegsteilnehmern, Kriegskindern und Kriegsenkeln gerechnet.

Jedes Jahr Ende Januar drängen die Ereignisse des Nationalsozialismus unweigerlich ins Licht der Gegenwart. Diesmal auch durch die Wannsee-Konferenz vor 80 Jahren am 20.Januar. Der gleichnamige ZDF-Film (in der Mediathek) zeichnet auf der Grundlage des Eichmann-Protokolls die Beratungen der seriösen Herren in Anzug oder Uniform nach, wie sie auch heute noch die Interessen ihrer Ministerien und Dienststellen vertreten könnten. Doch damals ging es um Absprachen zum Mord an 11 Millionen Juden. Am 27. Januar wird der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz als Holocaust-Gedenktag begangen. Das Jahr über immer wieder kurze Zeitungsnotizen, dass hochbetagte Überlebende der NS-Verfolgung gestorben sind. Solange es ging, berichteten sie in Schulen und Gedenkstätten von dem erlebten Schrecken. Immer mit der Verpflichtung, auch Zeugnis abzulegen für die Ermordeten mit dem Ziel, dass sich diese Verbrechen nicht wiederholen dürfen.

Im hessischen Arolsen befindet sich das weltweit größte Archiv mit Dokumenten der Opfer und Überlebenden. Noch immer werden dort Angehörigen Auskünfte erteilt, aber die „Arolsen Archives“ befassen sich auch mit der Zukunft und neuen Formen der Bildungsarbeit, um das Interesse der Gen Z zu wecken. Eine Studie des Rheingold Instituts in Köln mit zweistündigen tiefenpsychologischen Interviews der 16- bis 26-jährigen im Vergleich zu 40 bis 60jährigen ist zu überraschenden Ergebnissen gekommen:

„Befreit vom Gefühl persönlicher Schuld an der NS-Zeit“ sei der Zugang der Jüngeren unbeschwerter, erläutert Institutsleiter Stephan Grünewald. Von der NS-Zeit gehe aber auch eine gewisse Faszination und Angst aus wie die Frage: Vielleicht hätte ich auch auf der Seite der Nazis gestanden, mich der Dominanz eines völkischen Plans unterworfen? Dagegen lebten Jugendliche heute in einer „multioptionalen Bereitstellungskultur“, zu der aber auch Ansprüche und individueller Druck gehörten, etwas aus sich selbst zu machen. Insgesamt, so Grünewald, sensibilisiere die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit für heutige gesellschaftliche Probleme vom Rassismus, über die Zahl der Fake News bis hin zur Radikalisierung.

Die Interviews offenbaren aber auch die Barrieren, die eine Beschäftigung mit der NS-Zeit blockieren können. Neben der Angst, von Gefühlen überwältigt zu werden, zählt dazu die Angst vor einer „Überkomplexität“ von Sachverhalten (etwa im Unterricht) fern der eigenen Lebenswirklichkeit. Oder wenn den Jugendlichen Moral „verordnet“ werde, statt sich ein eigenes Resümee zu erarbeiten. Jede Generation reklamiere für sich, selbst zu denken und sich ein Bild zu machen, meint auch Oliver Figge von den Arolsen Archives.  Es gelte die Verknüpfung mit heutigen Entwicklungen zu schaffen, „denn die Gründe der Verfolgung sind nicht Geschichte“.  Eine der Befragten wird so zitiert:

Der Gen Z Schlüssel in die Hand zu geben, wünscht sich auch Floriane Azoulay als Archiv-Direktorin. Aus der Studie ergeben sich erste Ansätze wie die Verschmelzung von digitalen und analogen Formen für die Nachbearbeitung von Begegnungen oder dem Besuch von Gedenkstätten, eine Diskussionskultur ohne moralischen Zwang. Auch die Kompetenzen und Wahlmöglichkeiten der Gen Z ließen sich nutzen, um Themen zu vertiefen oder globale und regionale Bezüge herzustellen wie durch die „Stolpersteine“.

Eine persönliche Schlussbemerkung

Mit 24 Jahren würde ich heute zur Gen Z gerechnet. Doch es war 1982 und ich junge Redakteurin. Wegen des Kriegsrechts in Polen und den Einreisebeschränkungen für Journalisten musste ich noch einmal in die Rolle der Studentin schlüpfen. Ich sollte über Auschwitz und die Gedenkfeier mit deutschen Laien und Bischöfen aus Polen und Deutschland für den heiliggesprochenen Maximilian Kolbe berichten. Der folgende, leicht gekürzte Text entstand neben den Nachrichten, Reportagen und Pressefotos als wir am Nachmittag zu zweit oder dritt mit KZ-Überlebenden über das Gelände des Stammlagers und des Vernichtungslagers Birkenau gegangen waren.

„Bekannter Schrecken. Die Frau neben mir hat überlebt, spricht zum ersten Mal seit der Befreiung wieder deutsch, will Sprachrohr für die Toten sein. Kein Vorwurf in der Stimme. Sie teilt Wohnung und Essen mit uns; erinnert sich an die eine freundliche Aufseherin, die ihr ein Stück Brot zusteckte. Als wir aus einer der Baracken auf dem riesigen Gelände des Vernichtungslagers Birkenau kommen, atmet sie tief durch und sagt: „Hier war nur Dreck, kein Gras. Hier haben die Vögel nicht gesungen.“

Warum nur blitzt dieses Bild auch heute noch auf – wenn ich Fernsehnachrichten über Flüchtlingslager in Griechenland oder im Libanon sehe? Wenn jemand im Kleider-Container an der Ecke wühlt und vor dem Tisch der „Tafel“ ansteht?                                                                             CB

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Quelle der Bilder:

Die Screenshots stammen von der Einladung und der Online-Präsentation der Studie am 25.1.2022 durch die Arolsen Archives und das Rheingold Institut. Auf den Webseiten finden sich auch ausführlich die Inhalte der Studie.