Was Dinge und Menschen verbindet

Hier soll es nicht um die Weihnachtsbäume gehen, die auf den Bürgersteigen nadelnd in diesen Tagen auf die letzte Fahrt warten. Ihre Verweildauer in warmen Stuben ist ohnehin auf wenige Wochen begrenzt. Nur einige können in den Garten umsiedeln und auf ein Comeback im nächsten Dezember warten. Es steht auch mehr Sperrmüll als sonst herum. Voll gestopfte Mülltonnen mit halb aufgeklappten Deckeln verraten, was sonst so ausgemustert wurde. Ich behaupte, derzeit finden Dokumentationen über die richtige Ordnung in Schränken und Regalen, über minimalistisches Leben in „Tiny Houses“ oder in Wohnmobilen besonders viel Interesse. Aber auch die vielen neuen Ordnungs-Hilfen in Schaufenstern, Prospekten und natürlich im Internet. Nach wie vor ein Renner: die Aufräum-Empfehlungen von Marie Kondo.

Nur für wenige war die Weihnachtszeit im beheizten Raum ein Ausflug aus dem Garten-Beet

Egal zu welchem Termin lösen Wohnungswechsel Schrecken aus angesichts der gestiegenen Zahl benötigter Umzugs-Kartons. Soll ich mich nicht endlich von dem Steiff-Hund trennen, dessen Plüschbein Verbrennungsspuren von einer Heizung aufweist? Was ist mit dem nach einer Lesung in Stuttgart signierten Buch einer chinesischen (!) Schriftstellerin aus den 1980er Jahren? Schwer fällt es mir vor allem, mich von Gedrucktem zu trennen, so froh ich über die öffentlichen Bücherschränke bin und den regen Tauschbetrieb. Manchmal träume ich, dass ein dort zurückgelassenes Buch nach mehreren Jahren und einigen Leser*innen mir in einem der Schränke wieder begegnet. Wobei ich einige „gespendete“ Titel nach längerer Zeit wieder so sehr brauchte, dass ich sie in Büchereien suchen oder antiquarisch kaufen musste. Im Internet natürlich.

Vielleicht wartet ein Buch, das ich im Bücherschrank entsorgt hatte, auf mein wieder erwachtes Interesse

Überhaupt die digitalen Möglichkeiten:  Blogs wie dieser „Zettelkrom“, die Mail-und WhatsApp-Kontakte, Recherchen, Buchungen und Bestellungen gehören dazu. Die Schreibtische vieler sind leerer und kleiner als meiner, weil sie a l l e s einscannen und archivieren statt Ordner mit Ausdrucken zu füllen. Da bleibe ich skeptisch, von Steuererklärungen und ähnlichen Inhalten einmal abgesehen. Wobei auch E-Books in bestimmten Situationen Sinn machen: auf Reisen zum Beispiel. Oder neben dem Bett oder unter dem Kopfkissen, um nachts Schlafpausen zu überbrücken.  Das geht besser als sich mit einem schweren 700-Seiten-Roman hin- und her zu wälzen – um wieder hellwach zu sein, wenn das Buch aus den Händen fällt und auf den Boden knallt.

Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre schrieb: „Wir wissen, wer wir sind, wenn wir betrachten, was wir besitzen.“ Er, der die meiste Zeit in wechselnden Hotelzimmern verbrachte, redete damit nicht denen das Wort, die in Hallen Oldtimer horten, vier verschiedene Ess-Services auftischen oder zumindest jedem Mode-Stil folgen. Aber: „Ohne Objekte würde ich womöglich haltlos davontreiben“, notierte die heute in Schottland lebende Autorin und Bloggerin Lee Randall. Sie scheint vor allem stolz auf die Bücher zu sein, die überall in ihrem Haus Platz beanspruchen. „Ein jedes von ihnen ist ein autobiografischer Datenspeicher meiner selbst, eine Erinnerung, wer ich war, als ich es las, was ich an ihm liebeswert fand, wohin es mich trug.“ Auch andere Gegenstände speicherten Erinnerungen, Werte und Erfahrungen, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.

Im Regal oder auf dem Schreibtisch liegt seit 1986 dieser unbearbeitete Stein von der Insel Krk als Zeichen für Veränderung

Entrümpeln, Möbelrücken oder durch Umzüge den Lebensraum zu verändern ermöglicht neue Perspektiven und Veränderungen. Es gibt aber auch die These, nach der Menschen, die mit einem Minimum an Gegenständen auskommen, der Sinn für das eigene Maß abhanden zu kommen droht. (Wie auch den Sammlern, deren Häuser überquellen von den ergatterten Objekten.)

Mein Großvater soll mit weit über 80 Jahren begonnen haben, sich vieler Dinge zu entledigen. Es waren wohl auch Adressen darunter von ausgewanderten Verwandten, die nach dem 2.Weltkrieg Care-Pakete geschickt hatten. Gegen Ende des Lebens wollte er „reinen Tisch“ machen, sich von überflüssig gewordenen Dingen trennen. Es mutet an wie eine Station kurz vor dem endgültigen Abschied. Auf dem Nachtisch meines Vaters im Krankenhaus lagen bis zuletzt ein kleiner Block, ein „feiner“ Kugelschreiber und stand ein Bild seiner Frau. Als sie starb, lag auf dem Tisch eine Schale mit bunten Ketten und einer Uhr, eben die Tochter eines Goldschmieds und Uhrmachers.

Es braucht, denke ich, nicht das Gedankenspiel, welche Dinge man auf eine einsame Insel mitnehmen will. Nur Aufmerksamkeit und eine Portion Dankbarkeit für die vielen Erinnerungen. Sie sind das Gerüst des bisherigen Lebens und liefern Erfahrungen, Kraft und Fantasie für die kommende Zeit.

PS: Frage nach dem Lesen

Welches Objekt schafft es bei jedem Umzug mitzukommen? Vielleicht möchten Du/Sie uns ja mit Hilfe der Kommentarfunktion daran teilhaben lassen? Bei mir zerbrach leider voriges Jahr die dünn gewordene Klinge eines kleinen Küchenmessers, mit dem Oma und Mutter schon hantierten als Kartoffelschälen für mich noch zu gefährlich war.     C.B.                                                                

3 Kommentare zu „Was Dinge und Menschen verbindet

  1. Ich mache von jedem (literarischen) Buch eine Inhaltsangabe, damit ich mich, wenn ich wieder einmal über den Titel stolpere, weiß, worum es in dem Buch geht. Bei einigen wichtigen Titeln weiß ich noch ganz genau, wann ich sie gelesen habe. Und aufgeräumt wird jeden Tag. Auf eine einsame Insel würde ich zwei Bücher von Arthur Schnitzler, drei von Lion Feuchtwanger und eins von Stefan Heym mitnehmen. LG, josch

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  2. PS: Frage nach dem Lesen.
    Zur Beantwortung deiner Frage habe ich Mitte des Jahres meiner Tochter ein Stück Zeitgeschichte übergeben, Fotoalben, welche diverse Lebensumzüge überstanden haben.
    Lg Harald

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  3. Ich verstehe nicht dass Aufräumen, Ordnung machen am Anfang eines Jahres im Focus gerückt wird.
    Ich denke es hängt mit dem Neubeginn, weil auch das Neue Jahr ein Neubeginn ist, zusammen.
    Aufräumen ist für mich Situationsbedingt und nur wenn es nötig ist und Gründe vorliegen.

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