Ich muss gestehen, einen Drehtag und rund ein Jahr später habe ich es wieder getan – mich als Komparsin bei „meiner“ Casting-Agentur beworben. Es geht diesmal um eine Ko-Produktion von ARD/WDR/Canal+. Es werden hunderte Komparsen gesucht, die im Gefängnis einsitzen, Bodybuilding oder Kampfsport erprobt sind, tätowiert, mit Narben und „Milieu“-Typen. Solche Erwartungen kann ich nicht erfüllen, aber sicher könnte ich als verzweifelte Verwandte vorm Gefängnistor warten oder einem SEK die Tür öffnen, die dem Verbrecher auf der Spur sind.
Im Ernst. Auch wenn ich letztes Jahr eine Verschwiegenheits-Klausel unterschrieben habe, Corona-Tests bestehen musste und der Spielfilm einer bekannten Regisseurin erst im Herbst in die Kinos kommen soll, geht mir doch einiges durch den Kopf:
Der Aufwand
LKWs mit Beleuchtung und Kamera-Equipment, Requisiten und rollbaren Kleiderständern warten am Drehort. Aufenthaltsräume für die Komparsen (aus dem italienischen „gemeinsam erscheinen“), die per definitionem „keine tragende Rolle spielen“ und oftmals stumm bleiben. Getränke brauchen wir trotzdem, ein Catering für den Drehtag, der für mich rund acht Stunden dauerte. Wer alles mitarbeitet: jemand muss unsere Arbeitszeit registrieren -auch die Kostümprobe ein paar Tage vorher wird bezahlt-, jemand muss mit der Kamera am Drehort unsere Platzierung erfassen, wenn wir zwischendurch für einen Umbau von Kamera und Beleuchtung aus dem Raum müssen.
Kleider machen Leute
Um 1960 spielt der Film, für mich wird die Kostümprobe eine Zeitreise zurück in die Kindheit. Reihenweise hängen Kleider, Kostüme, Blusen und Röcke aus der Zeit auf den Kleiderstangen (plus Männer-Anzüge). Die Konfektions- und Schuhgrößen hat die Agentur, rasch bekomme ich einen knielangen Woll-Rock, einen ärmellosen dünnen Pulli (es war die Zeit vor den T-Shirts) und eine Strickjacke mit Zopfmuster verpasst. Dazu Schuhe, die eher ans Wandern denken lassen als an Bälle wie die Pumps jüngerer Komparsinnen in elegant schwingenden Kleidern mit grafischen Mustern. Nebenan „die Maske“. Eine der Expertinnen an transportablen Frisiertischen mit Spiegel verpasst mir mit Lockenstab und Spray eine Wellen-Frisur, mit der ich mich wie meine eigene Mutter fühle. „Abgenommen“ von einer Chef-Maskenbildnerin werden Fotos ausgedruckt in eine Klarsichthülle und gepackt zu meinem Outfit sortiert. Dazu strikt die Anweisung, bis zum Dreh die Haare nicht zu färben oder zu schneiden. Zur Erinnerung; ich war nur eine von schätzungsweise hundert Frauen und Männern, um in dieser einen Szene den „lebendigen Hintergrund“(Wikipedia) zu bilden hatten.



Die Casting-Agenturen schlagen der Produktionsfirma Menschen aus ihrer Kartei vor. Statt Urlaubsfotos benötigen sie dafür Aufnahmen vor neutralem Hintergrund. Freiwillig sind Angaben über Sprachkenntnisse, Sportarten, das Haustier oder das Auto.
Mehr über den Film, die Stars und die Szenen, in denen ich vielleicht zu sehen sein werde, nach der Premiere im Herbst. Versprochen.
Am Ende noch drei der ganz persönliche Wünsche der Komparsin für einen Tag:
- Mit meiner Hündin Funny eine Leiche im Bach oder unter einem Laubhaufen entdecken – das passiert schließlich jede Woche ähnlich mehrmals im Vorabendprogramm.
- In der Schlange vor dem Eiscafé Zeugin eines Verbrechens werden.
- Esel striegeln auf einem Kinder-Bauernhof z.B. für ein Familien- oder Tierquäler-Drama.
- Im Sterne-Restaurant speisen oder selbst servieren(riskanter,) als ein handfester Streit ein paar Tische weiter ausbricht. CB


