Die Königin

In weiche Reste eines alten Betttuchs gehüllt ist die Königin vor einigen Monaten zu mir gekommen – sie riecht nach Leinöl. Damit hat ihr Schöpfer den Körper und den ganzen alten Eichenbalken getränkt. Von der goldenen Krone bis zu ihren Füßen, die aus dem Balken geschnitzt sind, der ihr Fundament mit Bohrloch und Schlitzen bildet, als früherer Teil eines Fachwerkhauses.

Diese Majestäten sind trotz der Begehrlichkeiten des Kunsthandels nicht käuflich. Als Journalistin hatte ich Fotos gesehen und Texte gelesen über die Figuren, die Ralf Knoblauch frühmorgens schnitzt. Der gelernte Tischer arbeitet nach dem Theologiestudium als Diakon in Bonn. Für ihn gehören seine Könige und Königinnen nicht in Galerien. Zeiten von Photoshop berühren sie nicht durch Makellosigkeit, sondern durch ihre Schutzlosigkeit, die geschlossenen Augen und herabhängenden Arme, die Schrunden im Holz. Sie wollen angefasst, wahrgenommen werden in ihrer schlichten weißen und schwarzen Kleidung. Allen gemeinsam ist die Krone auf dem Kopf oder in der Hand gehalten. Sie symbolisiert die königliche Würde jedes Menschen überall auf diesem Erdball. Längst geht die Zahl der Skulpturen in die Hunderte. Sie tauchen mit ihrer Botschaft auf, wo Menschenwürde in Gefahr ist. Weltweit. In den Corona-Zeiten von Isolation und Furcht voreinander entstanden als „royal messages of hope“ Videos. „Du hast Würde, du hast Wertschätzung, du kannst auf Dich vertrauen. Du findest Unterstützung in der weltweiten Solidaritäts-Gemeinschaft, die dich nicht allein lässt. So schwer es dir auch geht, sei dir gewiss: dein Leben ist wertvoll und würdevoll“, fasste es Ralf Knoblauch zusammen.

Bis heute entstehen berührende Fotos von Begegnungen mit den hölzernen Repräsentanten der Menschenwürde: Irgendwo in Afrika tastet ein blinder junger Mann eine Figur ab, ein kleines Mädchen tanzt mit einer Königin in den Trümmern. Zwei Jahre nach der Hochwasser-Katastrophe an der Ahr bleiben Skulpturen aus den Balken weggerissener Häuser bei den betroffenen Familien. In Hospizen und Anwaltskanzleien, in Beratungsstellen und bei einer Reise nach Galiläa ist die königliche Verwandtschaft präsent. Auch in der Ukraine wandern sie mit Hilfe von „Königsbotschaftern“, wie Knoblauch sie nennt, von Ort zu Ort. In Fotoserien halten in der katholischen Kirche engagierte Frauen Königinnen im Arm, um ihrer unerfüllten Forderung nach Gleichberechtigung Nachdruck zu verleihen.

Auge in Auge mit der Königin

Die Königin, die ich beherberge, hat bisher ruhig von einem Bücherregal herabgeblickt in den Garten. Während sich auf dem Schreibtisch Notizzettel aller Art, Steuerbelege und anderer Behördenkram vermehrten. Jetzt steht sie dort, stoisch, aber entschlossen, sich zu behaupten und gelegentlich zu äußern. „Man muss weggehen können und doch sein wie ein Baum: als bliebe die Wurzel im Boden, als zöge die Landschaft und wir ständen fest“, heißt es in einem Gedicht von Hilde Domin, mit der ich Geburtsdatum und Geburtsort teile, sie lebte von 1909 bis 2006.  Bei einer Begegnung hat sie mir, der Nachrichtenredakteurin, folgende Widmung geschrieben: „Das Tagesgeschehen ändert sich. Das Exemplarische bleibt.“ Warum mir das gerade einfällt? Wohl als Hinweis von Dichterin und Königin. Weibliche Unterstützung eben.    CB

Hinweis: Auf der Webseite www.ralfknoblauch.de finden sich mehr Informationen und Termine mit den Königinnen und Königen.

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