Blick zurück nach vorn: Sybil Gräfin Schönfeldt – klug, humorvoll und gegen Zwänge

In der vergangenen Woche wurde viel über  e i n e  Partei hierzulande berichtet, der es nicht gelungen war, bei ihrer mehrtägigen Veranstaltung alle Kandidat*innen für die Europawahl zu nominieren. Für mich passt da das auf dem Schreibtisch entdeckte Material für diesen Blog:

„Zwangsweise fröhlich sein“ war mein Text überschrieben, der sich 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem 1975 erschienenen Jugendbuch „Sonderappell“ von Sybil Gräfin Schönfeldt befasste. Darin schildert sie, wie sie mit 17 nach dem Abitur als „Arbeitsmaid“ nach Oberschlesien kommt und schließlich vor den Russen fliehen muss. Der Drill mit der Trillerpfeife, Schulungsabende, gegenseitige Bespitzelung, Furcht vor Beurteilungen, die das angestrebte Studium verhindern konnten. Gräfin Schönfeldt, die mit dem Buch als eine von wenigen den Frauen-Alltag in der NS-Diktatur beschrieben hat, geht vom „Missbrauch“ ganzer Jahrgänge aus. Doch viele scheinen die schmerzlichen Erinnerungen vergraben zu haben. Alles nicht so schlimm wie das, was die gleichaltrigen Männer an der Front erwartete. Nach der Lektüre von „Sonderappell“ schrieb aber eine der damaligen „Arbeitsmaiden“: „Die menschenverachtende Art hat mich bis auf den heutigen Tag allergisch gemacht gegen Leute mit Machtkomplexen. Dieses Fertigmachen am Tage und das zwangsweise Fröhlich-sein-müssen am Abend mit Volksliedern und Volkstänzen passt zu dem autoritären Gehabe.“

Am 14.Dezember letzten Jahres ist die Journalistin, Autorin und Übersetzerin Sybil Gräfin Schönfeldt mit 95 Jahren in Hamburg gestorben. Ihr bürgerlicher Name lautete nach ihrer Heirat 1957 mit einem Hamburger Kaufmann Schleppegrell, doch da hatte sie bereits promoviert und schrieb für große Magazine. Ihre eigene Mutter war wenige Wochen nach ihrer Geburt gestorben, sie selbst bekam zwei Söhnen und arbeitete freiberuflich. Dazu das Haus mit vielen Gästen.

Sybil Gräfin Schönfeldt befasste sich mit Kinder- und Jugendliteratur, schrieb die erste in Deutsch verfasste Biografie über Astrid Lindgren, übersetzte Charles Dickens und Lewis Carroll. Für „Knaurs großes Baby-Buch“ volontierte sie in einer Geburtsklinik, für Rezepte und Kochbücher nutzte sie eine Firmen-Versuchsküche.  Immer wieder schimmert neben allen Sach-Informationen ihre Lebensfreude durch. Klein und fein ihr „Kochbuch für die kleine alte Frau“, bei Piper als Taschenbuch neu aufgelegt Es gibt auch ihr „Kochbuch für den großen alten Mann“.  1997 entstanden „Die Jahre, die uns bleiben – Gedanken einer Alten über das Alter“. Klar, knapp, unsentimental.

Von der Lebens- und Liebesgeschichte mit ihrem 2008 verstorbenen Mann handelt das letzte Buch, das Sybil Gräfin Schönfeld im Dezember kurz vor ihrem Tod fertigstellte. In „Er und ich“ rekonstruiert sie auch, wie er, der jüdische Vorfahren hatte, den 2.Weltkrieg überleben konnte. Fast scheint es, als habe sie mit diesen Erinnerungen einen Schlusspunkt setzen wollen. Denn weitergearbeitet hatte sie auch noch im hohen Alter, überzeugt davon, „dass jeder Mensch seine eigene Welt im Kopf trägt und gerade darum glücklich sein kann“. 

Bleibt zu hoffen, dass die posthume Veröffentlichung dieses persönlichen Buches von Sybil Gräfin Schönfeldt viel Aufmerksamkeit findet. Verdienen tun es alle Erinnerungen und Geschichten aus dem 20.Jahrhundert, um so manche Wiederholung zu vermeiden.  CB