Schritt für Schritt verstehen

Was für eine Vorstellung: einem völlig unbekannten Menschen begegnen, beide haben nur eine Art „Steckbrief“ vom anderen mit einigen Angaben wie dem Namen, Hobbies und Interessen. Das lässt vor dem Treffen Raum für Spekulatives, in das sich bisherige Erfahrungen und Halbwissen mischen. Die Rede ist von einer Vermittlung wie sie die Kölner Freiwilligen Agentur bereits seit 2016 betreibt: Geflüchtete und Freiwillige bilden „Tandems“, die sich zu „Welcome Walks“ verabreden. Susanne Hauke von der Freiwilligen Agentur: „Im Mittelpunkt steht die Begegnung“. Aus dem „Walk“ kann also ein Treffen im Café, auf dem Spielplatz, gemeinsamen Kochen und Essen oder die Teilnahme an einer Führung oder einem Stadtteilfest werden.

Vor dem Selbstversuch steht die Qualifizierung – in Corona-Zeiten ein gut konzipiertes Online-Seminar mit Filmbeitrag und der Möglichkeit zum Austausch unter den Freiwilligen. „Willkommenskultur“ und sich „Augenhöhe“ sind die prägenden Begriffe. Da werden auch eigene Einstellungen hinterfragt, denn es geht bei den Welcome Walks weder um Hilfe noch um Unterricht, sondern darum, voneinander in dieser Tandem-Partnerschaft zu lernen. Neugierde, Empathie und gemeinsames Lachen erleichtern es, beim ersten Kontakt die fremdartig klingenden Namen des jeweils anderen richtig auszusprechen und deren Bedeutung zu erkunden.

Mein Tandem-Partner stammt aus Syrien und arbeitet inzwischen hier als Bau-Ingenieur im Straßenbau. Er wünscht sich nach Jahren in Deutschland mehr Sprachpraxis.  Beim Spazieren am Rand des Vorortes sprudelt vieles über seine mit ihm hier lebende Familie heraus: die jüngste Tochter korrigiert – wie ich manchmal auch – seine Aussprache, die älteste macht eine Ausbildung. Ich höre ihm gerne zu, frage nach, spüre aber auch die Grenzen des Sagbaren, wenn es etwa um die Zerstörungen in seiner Heimatstadt geht. Und merke, wie leicht sich aus dem Fremdsein resultierende Angst einschleichen kann auf einem belebten Platz. Während ich mich genau dort an das kindliche Gefühl erinnere, selbstverständlich Teil dieser großen Stadt zu sein. Unter Stress und bei Sorgen wird sein Deutsch schlechter. Was mich wiederum an ein Praktikum in Paris erinnert, wo ich abends oft verzweifelt war. Sprache als Schlüssel – und dann klemmt die Tür.

Berührend, wie er am Ende unseres ersten Spaziergangs meint, so viel würde er sonst in einer Woche nicht deutsch reden können. Wir haben uns wieder getroffen, diesmal in einer kleinen mittelalterlichen Stadt am Rhein, wo es ihm auch um die Statik des Kirchbaus ging. Religion, das ist für ihn Privatsache. Für mich auch. Wir haben gemailt und lange telefoniert. Es geht um völlig verschiedene Themen von Fastentipps und Fußball bis zum Backen von Baclava, süßem Gebäck. Bald will ich ihn und seine Familie besuchen.

Neugierig geworden? Auf der Webseite www.koeln-freiwillig.de finden sich unter „WelcomeWalk“ Kontaktmöglichkeiten, Erfahrungsberichte und FAQS.  Übrigens wird das Projekt gefördert im Programm „Menschen stärken Menschen“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

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