Gänseblümchen und Vergissmeinnicht aus einer verschwitzten Kinderhand, üppige Arrangements der Floristinnen oder eine einzelne Rose – Frauen freuen sich über Blumen, suchen nach der passenden Vase und stehen vor der Frage: wohin mit dem Geschenk, mit meinem Strauß? Ins eigene Zimmer?

In Frankfurt am Main gleich neben dem gerade eröffneten Romantik-Museum habe ich in Goethes Geburtshaus das Zimmer seiner Mutter besichtigt: zierliche Möbel, bequeme Sitzgelegenheiten, wehende Gardinen. Ich stellte mir vor, dass sie dort nicht nur mit Näharbeiten und der Haushaltsplanung beschäftigt war oder Briefe an den berühmter werdenden Sohn schrieb. Hier konnte sie einfach ihren Gedanken nachgehen oder ungestört mit Freundinnen plaudern bei einer Tasse der damals kostbaren Schokolade. Doch gibt es mehr als 200 Jahre nach dem Tod von Catharina Elisabeth Goethe und in Zeiten von Homeoffice genug „Frauenzimmer“? Pläne von Wohnungen und Häusern weisen mitunter „Hauswirtschaftsräume“ aus neben Küche und Kinderzimmern. Ein Architekt erzählte mir, dass er die Bäder großzügig plane, da sich Frauen gerne dorthin zurückzögen, „um mal hinter sich abschließen zu können“. Was sich auch in den Prospekten der Badgestalter wiederfindet.
Meine Großmutter auf dem Land legte mittags am Küchentisch den Kopf auf die Ellbogen und machte so ein kleines Nickerchen, bevor sie sich wieder hinter die Ladentheke stellte. Lange bevor ich das Wort buchstabieren konnte, wurde die „Chaiselongue“ der anderen Oma in ihrem Wohnzimmer auch zu meinem Rückzugsort, den allerdings nur ein Vorhang von der Wohnküche trennte. Später im neu erbauten Haus endlich das eigene Zimmer! Der Vater bekam einen Raum mit Klappbett und Schreibtisch für seine private Buchführung. Meine Mutter dagegen musste spätestens vor dem Abendessen den Küchentisch von ihren Näh- oder Bügelarbeiten befreien.

„Eine Frau muss Geld und ein eigenes Zimmer haben, um schreiben zu können“. konstatierte die britische Schriftstellerin Virginia Woolf in ihrem 1929 veröffentlichten Essay „Ein eigenes Zimmer“, der auf zwei Vorträgen vor Studentinnen zurückging. Bei Woolf war es eine Tante, die ihr 1918 auf Lebenszeit 500 Pfund im Jahr hinterließ und damit materielle Sicherheit. Bis dahin, so schreibt sie, hatte „ich mir ein paar Pfund damit verdient, Umschläge zu adressieren, alten Damen vorzulesen, künstliche Blumen anzufertigen…“ und für Zeitungen über „eine Eselschau hier und eine Hochzeit dort zu berichten“.
Die 1986 geborene freie Autorin und Kolumnistin Margarete Stokowski („Untenrum frei“, Die letzten Tage des Patriarchats“, „Das Matriarchat lässt grüßen“) schreibt im Vorwort einer Neuauflage des Essays von Virginia Woolf: „Wenn man laut darüber nachdenkt, was Frauen alles schaffen könnten, wenn sie nicht permanent eingeengt und abgelenkt würden, wird immer jemand kommen und behaupten, eine Künstlerin müsse das alles eben aushalten und übergehen.“ Doch sich als Schriftstellerin gegen Widerstände Grundlagen für den Erfolg wie Handwerkszeug, Vorbilder und Bildung zu erarbeiten, koste Energie und schlicht Geld. Zu optimistisch sei Virginia Woolf gewesen, was das Tempo der Verbesserungen hin zu Gleichstellung angehe. „Auch heute noch werden Bücher von Frauen hauptsächlich von Frauen gelesen, von Kritikerinnen rezensiert, von anderen Autorinnen zitiert. Es tut der Kunst nicht gut, dass es so ist.“ Stokowski betont aber auch: „Jedes Buch, in dem heute eine Frau ihren eigenen Gedanken folgt, öffnet eine Tür für weitere Autorinnen“. Die Begründung hat schon Virginia Woolf geliefert: „Meisterwerke sind keine einzelnen und einsamen Geburten; sie sind das Erzeugnis vieler Jahre gemeinsamen Denkens.“

Doch wohin nun mit dem Blumenstrauß? Ich kenne einige Frauen über 50, die sich ihre Freiräume im Wortsinn zurückerobern, wenn die Berufstätigkeit endet und die Kinderzimmer verwaist sind. Manche Paare machen die überraschende Erfahrung, dass die Spielräume wachsen, wenn jeder den Platz hat „zu sich zu kommen“. Doch bereits kleine Kinder, deren eigene Grenzen respektiert werden, akzeptieren den zeitweisen Rückzug der Eltern. Ein witziges Hinweisschild an der Zimmertür der Mutter signalisiert, dass sie gerade eine Pause vom turbulenten Alltagschaos einlegt oder Ruhe braucht für Pläne, Ideen oder ein inspirierendes „Nickerchen“. Auf dem Tisch oder der Fensterbank der Blumenstrauß. Schöne Aussichten eben. CB
Viriginia Woolf, „Ein eigenes Zimmer“, Essay mit einem Vorwort von Margarete Stokowski, Fischer Taschenbibliothek, 2020, 12€
(Aktualisierter Zeitschriften-Artikel von 2004)
Danke für den Hinweis. Ich fand amüsant, dass Elke Heidenreich in einem der Interviews für die Promotion ihres Buches erwähnte, dass sie während des Studiums mit Seminararbeiten für andere Geld verdienen konnte.
LikeLike
Hallo Christel, Deinen Text von den lesenden/schreibenden Frauen kann ich aktuell ergänzen. Gestern gab es einen Dialog zwischen Volker Weidermann und Elke Heidenreich in Spiegel online (Thema Spitzentitel). Es ging um Heidenreichs aktuelles biografisches Buch ‚Hier gehts lang – Mit Büchern von Frauen durchs Leben‘. Es geht um ihre Lebens- plus Lesebiografie. Anfangs auch ganz Triviales, wie z.B, Sagans ‚Bonjour Tristesse‘, über Carson McCullers, Ruth Klüger, Christa Wolf, Virginia Woolf. Heidenreich beschäftigt sich auch mit der psychologischen und sozialen Situation schreibender Frauen, die man als Hintergrund nicht übersehen sollte. Viele Bücher wurden aus Schmerz und Frustration begonnen und beendet. Eine solche prägende Lesebiografie.könnten wahrscheinlich viele Frauen aufstellen. Ich auch. LG G
LikeGefällt 1 Person