Zwei kurze Geschichten

Schwarze Gedanken

Sommerabend im Vorort auf der Terrasse der Pizzeria. Am Tisch auch unser kenianischer „Patensohn“, ein 19jähriger Kenianer, der vor fünf Jahren nach Deutschland ausreisen durfte. Auch durch die Unterstützung meines Mannes spricht er inzwischen fast perfekt deutsch. Neben und unter dem Tisch „Funny“, der schwarze Mischlingshund mit einem Weimaraner als Vater und der Golden-Retriever-Mutter.

Am Nachbartisch ein „mittelaltes“ Ehepaar, der Mann mustert uns unentwegt. Innerlich bereite ich mich auf einen Wortwechsel vor, in dem es um Rassismus geht und einen ganzen Schwall von Erwiderungen gegen Fremdenfeindlichkeit. Immer mehr vorauseilende Wut macht sich breit. Im wahrsten Sinne des Wortes schlagkräftige Formulierungen suche ich. Nach dem Salat gehe ich ins Restaurant und komme auf dem Rückweg am Tisch der beiden vorbei. Nun dreht sich der Mann auf seinem Stuhl auch noch zu mir und fixiert mich mit seinem Blick: „Was haben Sie für einen hübschen Hund. Ist das ein Mischling? Wir hatten auch einen, der fast genauso aussah. Leider ist er tot.“          CB                                                                                                        

Trauer in Rot

Am Stadtrand der Friedhof mit den hohen Kiefern auf sandigem Untergrund. Am sogenannten „Mauspfad“ befand sich der Rand des Ur-Rhein. Schon in der Eisenzeit entstanden erste Grabfelder. An die Straße grenzt nun ein Stück Friedwald, ganz ohne die üblichen Gestecke und Lichter.

Es ist Mittag. Durch die Kiefernadeln fallen Sonnenstrahlen auf eine gebeugte Gestalt. Vor dem Holzstamm, auf dem er sitzt, hockt ein schwarzer Hund, rückt näher und legt vorsichtig den Kopf auf sein Knie. In Zeitlupe hebt sich ein Arm, die Hand streicht über das Hundefell.

Ich warte auf den verspäteten Bus, als der alte Mann durch das Tor tritt. Er trägt eine Wander-Jacke, deren Rot sich schreiend von den Grün- und Brauntönen des Waldes abhebt. Im Abstand von zwei Metern folgt ihm ohne Leine die Hündin, deren Gesäuge unter dem Bauch schlenkert. Grau ist sie um die Schnauze, hat den Kopf gesenkt. „Der Hund gehörte meiner Frau“, murmelt der Mann zu mir – oder doch zu sich? Langsam gehen die zwei weiter Richtung Parkplatz. Ich bleibe mit der Frage zurück: Gehörte die rote Jacke auch seiner Frau?                                                                       CB                                                                                                        

Habe ich früher Nachrichten formuliert, habe ich mich hier an kleinen Geschichten versucht. In der Hoffnung, dass sie der angeblich kürzer gewordenen Aufmerksamkeitsspanne entsprechen. Als Kind habe ich die Anekdoten in „Das Beste aus Readers Digest“ verschlungen. Aus mir unbekannten Orten in den USA wurden sie von Menschen mit manchmal deutsch klingenden Nachnamen eingeschickt und gedruckt. In den Schul-Lesebücher fanden sich „Kalendergeschichten“ von Johann Peter Hebel wie die vom „Kannitverstan“ oder Bertold Brechts “Geschichten vom Herrn Keuner“. Dazu die Witze und Episoden auf den Rückseiten der Kalenderblätter, die tage- oder wochenweise abgerissen wurden bis zum Silvestertag.

Im 17. und 18.Jahrhundert waren die kurzen Erzählungen in den „Volkskalendern“ neben Bibel und Gesangbuch für viele die einzige Lektüre. Darin fanden sich etwa Wetterregeln, Gesundheitstipps und Kochrezepte.  Wikipedia weiß: „Die zur Steigerung ihres Unterhaltungswerts eingefügten Erzählungen handelten von „merkwürdigen Begebenheiten“ und belustigenden Ereignissen im Alltagsleben der einfachen Leute.“

Alle aufgeführten Kategorien finden sich heute im Smartphone und auf dem Tablet wieder. Und wie im Kalender postet auf Facebook der Bundespräsident an so manchem Gedenktag, erinnert die Supermarkt-Kette an die Kürbis-Ernte und liefert Rezepte, wird vor Autobahn-Baustellen am kommenden Wochenende gewarnt und für eine Tinktur mit Wunder-Kraft geworben.  Nur dass die Aufmerksamkeit der Leserschaft anders als früher mit viel mehr „Posts“ geteilt werden muss als je in Bibel und Gesangbuch früherer Jahrhunderte gepasst hätten.                                                           CB

3 Kommentare zu „Zwei kurze Geschichten

  1. Die Geschichten aus Readers` Digest, ich erinnere sie gut, auch die Geschichten aus den Schul-Lesebüchern, ich habe sie geliebt! „Nachts schlafen die Ratten doch“, zum Beispiel. Heute lesen die Schüler Jugendbuchauszüge, sie lernen,Texte zusammenzufassen, ihre eigene Meinung zu formulieren und eine Geschichte weiter zu erzählen. Wie gut, dass es moderne Geschichten-ErzählerInnen wie dich gibt. Einen Moment innehalten, das Gelesene nachwirken lassen, mit eigenen Erinnerungen verknüpfen. Danke dafür. Jutta

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  2. Die „schwarzen“ Gedanken befassen zeigen, wie wir, von unseren Erfahrungen geprägt, oft auch zu negativen Vorurteilen neigen. Mir geht es häufig so. Und dann muss ich zum Beispiel ein Vorurteil revidieren. Was für ein tolles Gefühl. Manchmal schäme ich mich auch wegen eines unbegründeten Vorurteils. Der positive Effekt: Man kommt mit Menschen ins Gespräch, was undenkbar gewesen wäre, hätte ich an meinen negativen Gedanken festgehalten. Ich danke dir für die schöne Geschichten. Josch

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  3. Ja, die Geschichten in Readers` Digest! Die habe auch ich als Kind gelesen. Aber ich war viel früher dran. Es war in der Nachkriegszeit, Ende der Vierziger, d.h. es war in der dunklen Hungerzeit in Deutschland. Da erschienen diese harmlosen Geschichten aus Amerika wie ein Gruß von anderen Planeten. Aber sie gewährten auch einen Blick über den Tellerrand und verstärkten die Sehnsucht auf ein besseres Leben. LG G..

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