Angela Merkel kam zur Uraufführung des Dokumentarfilms „Die Unbeugsamen“ in Berlin. Erst vorige Woche war ich endlich auch im Kino – mit Abstand und Impfnachweis vor der Leinwand, umgeben von sehr wenigen Männern und vielen Frauen, die meisten in meinem Alter. Wir haben kollektiv den Kopf geschüttelt, uns empört, gefreut und manchmal auch mit Beifall bedacht, was der Regisseur und Journalist Torsten Körner in den Archiven gefunden hat und wie die Politikerinnen von damals heute kommentieren, was sie erlebt haben. Welch wüster und höhnischer Kritik der männlichen Kollegen sie ausgesetzt waren. Entstanden ist keine herkömmliche Chronik von den 1950er Jahren bis zur Wiedervereinigung, sondern ein Kaleidoskop, das den kollektiven Geschichts-Bildern die Erfahrungen der „Unbeugsamen“ im Bonner Parlament: ihr Engagement und die Hindernisse, die ihnen die machtbesessenen Politiker in den Weg legten. Manche bittere Erkenntnis stellt sich von selbst ein, wenn die Kamera über prachtvolle Bauten an Straßen mit Politiker-Namen entlangfährt, um erst in einem Neubaugebiet auf Schilder zur Erinnerung an Politikerinnen zu stoßen.
Nach dem Film ging mir durch den Kopf, wie vielen unbeugsamen Frauen ich schon begegnen durfte neben den Politikerinnen im Film wie Rita Süßmuth (84) oder Herta Däubler-Gmelin (78). Im Film erwähnt wird auch die 2013 verstorbene Eva Rühmkorf, die u.a. als Gleichstellungsbeauftragte Hamburgs und damit als erste bundesweit gilt, die in Schleswig-Holstein Landesministerin für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur war. Ich erinnere mich, wie engagiert und lebhaft die Sozialdemokratin mit Ehrenamtlichen der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands stundenlang weniger über Gott als über feministische Reformen der Welt diskutierte. Die Locken flogen nur so um ihren Kopf. Vermutlich nahm an der Tagung auch Ursula Männle (77) teil, die als langjährige CSU-Bundestagsabgeordnete von den informellen Kontakten der „Unbeugsamen“ berichten kann.
„Die Unbeugsamen“ Politikerinnen haben mit dem Film auf sich aufmerksam gemacht und dienen als Vorbilder. Vielleicht sollte die Suche einfach weitergehen, um von Erfahrungen der „Vorgängerinnen“ in anderen Lebensbereichen zu profitieren und ihnen dankbar zu sein für, dass sie Steine aus dem Weg geräumt und neue Wege aufgezeigt haben. Spontan fallen mir drei Namen ein:
Christel Neudeck
Die 1942 geborene Sozialpädagogin hat gemeinsam mit ihrem Mann, dem Journalisten Rupert Neudeck, das Komitee „Cap Anamur/Deutsche Not-Ärzte e.V.“ gegründet, später auch die „Grünhelme“. Von 1979 bis 1987 konnten mehr als elftausend vietnamesische „boatpeople“ vor dem Ertrinken im Südchinesischen Meer bewahrt werden. Und die humanitäre Hilfe ging weiter- mit der Zentrale im Wohnzimmer der Familie, was ich einmal miterleben durfte. Ebenso wie die Trauerfeier für den 2016 verstorbenen Rupert Neudeck in einer der großen romanischen Kirchen Köln. Sie war voller Vietnamesen, vom Greis im Rollstuhl bis zum Baby. Wie hätte das Kirchenschiff ausgesehen ohne das Engagement für die „Cap Anamur“? Was ist heute mit der Seenotrettung am Rande Europas? Letztes Jahr sagte Christel Neudeck dem “Stern“: „Das Leben macht mehr Spaß, wenn man Gutes tut. Und nicht nur davon spricht.“
Annelie Keil
Die 1939 geborene Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin hatte keine guten Voraussetzungen für den Start ins Leben: unehelich geboren, fünf Jahre Waisenhaus, die misslungene Flucht mit der Mutter in den Westen. Doch schaffte sie es zu studieren, sich an der Gründung der Universität Bremen zu beteiligen. Eigene Erkrankungen führten zum Forschungsgebiet der Psychosomatik. Doch das ist nur ein kleiner Ausschnitt ihres bunten Lebens, zu dem etwa 2016 ein Buch mit Henning Scherf gehörte: „Das letzte Tabu. Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen“. Sie malt, engagiert sich in der Hospizbewegung, betreibt eine Suppenküche und mischte auch einmal einen Gynäkologenkongress mit ihrem Vortrag auf. Da hatte ich mich eingeschlichen. Am besten selbst mal über ihre Webseite streifen: www.anneliekeil.de

Hertha Kraus
Vor kurzem wurde in der „Märchensiedlung“ des Kölner Vororts Holweide ein „Stolperstein“ eingefügt zur Erinnerung an Dr. Hertha Kraus, die hier einige Jahre gelebt hatte. Sie ist auch eine der 18 Frauen (Heilige mitgezählt neben 106 Männern), die heute als Stein-Skulpturen den restaurierten Kölner Rats-Turm zieren. 1897 geboren arbeitet sie nach dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zunächst bei den Quäkern, denen sie sich angeschlossen hatte. Als Oberbürgermeister holte Konrad Adenauer die damals 26-jährige Dr. Kraus nach Köln, wo sie die Leitung des neuen Wohlfahrtsamtes übernahm, sich für verschiedene Einrichtungen engagierte. So ließ die Sozialdemokratin in leerstehenden Kasernen eine Anlage mit Wohnstift, Pflegeheimen und Versorgungseinrichtungen nicht nur für Senior*innen errichten– bis heute existieren die „Riehler Heimstätten“. 1933 musste Hertha Kraus auf Druck der Nationalsozialisten wegen ihrer jüdischen Herkunft die Leitung des Wohlfahrtsamtes abgeben und konnte wenig später in die USA emigrieren, wurde Dozentin und Professorin. Immer wieder reiste sie zu Fortbildungskursen und Vorträgen über amerikanische Sozialarbeit über den großen Teich. 1963 nahm sie an einer US-Mission teil, die zwischen den beiden deutschen Staaten zu vermitteln versuchte, verhandelte dabei auch mit Walter Ulbricht und Willy Brandt. 1968 starb Hertha Kraus in Haverford, Pennsylvania. Wie gerne hätte ich sie kennengelernt!

Im Film „Die Unbeugsamen“ werden immer wieder Bilder von Kabinettsmitgliedern eingeblendet – „amtstrunken“ nennt sie der Pressetext, jedenfalls fein gemacht ( von wem wohl? ) im schwarzen Anzug und weißem Hemd. Unauffällig ebenfalls in schwarz-weiß irgendwann auch e i n e Ministerin am Tisch. Berührend ist deshalb eine der letzten Einstellungen: die unbeugsamen Protagonistinnen des Films sortieren sich auf der Treppe, auf der sich früher Regierungen nach ihrer Vereidigung in Bonn der Fotograf*innen stellten. Unterschiedlich und kunterbunt ihr Kleidungsstil, überstrahlt von Selbstbewusstsein, Vertrautheit jenseits aller Parteigrenzen und guter Laune. CB