Texel oder Insel-Leben in Corona-Zeiten

Mitte September dieses Jahres war die Sehnsucht groß und die Inzidenz-Zahl so gesunken, dass wir wieder nach Texel gefahren sind. Nicht nur, aber auch wegen des Hundes, der jedes Mal schon auf der Fähre vor Vorfreude ganz hibbelig wird. Texel war spätestens seit Oktober 2020 keine niederländische Insel der Glückseligen mehr.  Wegen der gestiegenen Infektionszahlen verließen die deutschen Touristen (sie stellen rund 25 Prozent aller Urlauber) fluchtartig die Insel wegen Maßnahmen wie einer erweiterten Maskenpflicht und Beschränkungen für Restaurant-Besuche. Wir konnten wie geplant bleiben, im Appartement selbst kochen und weiter barfuß am Rand der Nordsee balancieren und den Hund über den leer gefegten Strand flitzen zu lassen. Wie dieses Jahr auch. Geblieben sind Notizen, wie sich die Natur in und um die Insel treu bleibt – und was sich weiter ändert durch den Tourismus. Dazu die Hoffnung auf nächstes Jahr, gerade wird die Lage in den Niederlanden täglich dramatischer wie hier auch.

Flaschenpfand und Supermarkt

Besser als nie: im Sommer führten die Niederlande ein Rückgabe-Pfand für Plastikflaschen ein. Und 2022 sollen auch leere Dosen öfter in den entsprechenden Automaten der Supermärkte landen, die dann den entsprechenden Bon auswerfen. Dumm nur, wenn nach der Rückkehr nach Hause der Automat im Supermarkt dort regelmäßig Alarm schlägt, wenn wieder die eine mitgereiste niederländische Flasche mit dem falschen Rückgabe-Emblem zwischen den anderen gelandet ist.

Noch eine Beobachtung zum Einkaufen: Urlaub scheint die Zeit des Rollentauschs zu sein. Männer sieht man meist wenig gezielt durch die Gänge des Supermarkts streifen, um die Aufträge abzuarbeiten. Dieses Jahr kam hinzu, dass viele mit Scan-Geräten in der Form vorzeitlicher Handys ihre Einkäufe registrierten, um sie dann in einem eigenen Bereich ohne KassiererInnen selbst abzurechnen. Was am frühen Morgen im Gedränge vor den gläsernen Fächern der Brot- und Brötchenabteilung gar nichts so einfach ist. Denn jede Sorte hat einen eigenen Strichcode, der mehrmals gescannt werden muss, wenn nicht nur eine-r satt werden soll. Einen jungen Vater hatte der Ehrgeiz gepackt, denn er ließ seine 2-3-jährige Tochter mit dem Gerät hantieren.  Sollte sie früh an die MINT-Fächer herangeführt werden. Gut nur, dass eher eine Klein- als eine Großfamilie zu versorgen war.

Den ganzen Tag das Spiel mit den Elementen

Strandgang

Wenn die Herbstsonne gnädig ist und reichlich Vitamin D spendiert, zieht sich eine unregelmäßige Kette den Strand entlang, hin und wieder unterbrochen von mehreren spielenden Hunden verschiedener Rassen – die reine Lebensfreude und Energie. Den Kontrast bilden die langsam gehenden Paare, die eine oder der andere unterstützt von einem Wanderstock. Sie gönnen sich Pausen und vielleicht die eine oder andere Erinnerung. Vereinzelt entkleiden sich asketisch wirkende Männer neben dem unsichtbaren Weg und führen ihre Gymnastikübungen vor. Familien scheren aus, graben Kuhlen oder packen Bälle aus. Während jüngere Menschen ihre Surfbretter unter den Arm geklemmt haben und zielgerichtet am Wasser entlangeilen – als wüssten sie genau, wo sie die perfekte Welle erwartet.

Nur eine einzelne Frau geht quer zum Strand direkt auf das Meer zu. Weißgraue Haare, ein unauffälliger blau-grün gemusterter Badeanzug, entschlossen ihr Schritt, auch als ihr das Wasser schon bis zu den Oberschenkeln reicht. Sie beginnt parallel zum Strand zu schwimmen. Es sieht nicht aus wie ein Ritual nur für Sonnentage. Was wird sie im Winter machen?

Im Speedboot zur Seehundbank?

Texel macht mobil – den Eindruck gewinnt man angesichts hunderter E-Bikes, die an Regentagen ordentlich in ihren Gestellen ruhend auf den Verleih warten. Wo sind all die Vorgänger-Modelle geblieben, mit denen die UrlauberInnen mit purer Muskelkraft trotzig gegen den Wind antraten? Zur Erinnerung: die Insel ist 23,7 Kilometer lang und 9,6 Kilometer breit. Mit 19,6 Meter ist eine Düne mit Namen „Bertusnol“ die höchste Erhebung, der „Hohe Berg“ kommt nur auf 15 Meter über dem Meeresspiegel. Aber auch E-Motorroller und E-Mofas sind im Angebot. Fehlen nur noch Jeeps, die an die Steckdose müssen, um über den Strand zu rasen wie im Süden Europas. Doch schon kreisen vereinzelt Drohnen über die Insel.

Im Hafen Oudeschild liegen alten Segel- und Lotsenschiffen, die zu den Sandbänken um Texel schippern, auf denen sich die Seehunde sonnen und fotografieren lassen. Daneben ankert jetzt ein Speedboot, auf dem sich Menschen in Overalls zwängen, in denen sie wie das Michelin-Männchen wirken. Sie müssen sich anschnallen.  Den 12 Kunden wird neben dem „echten Speedboot-Feeling“ mit 75 km/h eine „99-prozentige Robbengarantie“ versprochen.

Der Besuch eines „Stillen-Örtchens“ kann bilden

Heuler, Wattwürmer im WC und der Griff nach dem Wal-Wirbel

An einem Regentag dann statt des Speedboots endlich ein Besuch im „ecomare“, dem Aquarium auf Texel. Da gibt es Seehunde, Kegelrobben und die „Heuler“, die aufgepäppelt werden müssen. Neben den Aquarien finden sich Szenarien über Land- und Luftbewohner. Forschungsarbeiten erläutern, wie sich die durch den Klimawandel veränderten „Zeitfenster“ etwa für Brut und Aufzucht auf Zugvögel auswirken. Skelette gestrandeter Wale imponieren durch ihre Größe. Ein Wirbel wurde herausgelöst und darf berührt werden. Eigene Räume sind für Kinder konzipiert. Und hinter der Toilettentür mit den aufgemalten Wattwürmern, informieren mehrsprachige Kacheln: „Alle Wattwürmer zusammen scheiden in einem Jahr die ganze obere Wattschicht aus.“ Wieder was gelernt! Und der Wunsch nach einem „Lupen-Glas“ aus dem „ecomare“-Shop wegen der Wattwürmer und anderem Getier.

Sie wird ins Meer entlassen werden, kranke und alte Robben finden auf Dauer Asyl

Seehunde für Zuhause

Ob es daran liegt, dass in Corona-Zeiten viele Balkon oder Garten verschönert haben? Mit Plastik-Pools, Teichen, Springbrunnen oder Seerosen in einem alten Topf. In der Fußgängerzone von De Koog drängen sich die UrlauberInnen vor einem der Läden. Eine ganze „Herde“ runder Seehund-Köpfe scheint dort auf engstem Raum im Wasser zu schwimmen. Bei näherer Betrachtung erweisen sie sich als körperlose Plastik-Köpfe zum Preis von rund zehn Euro. Offenbar das Souvenir der Saison. Soll ich nach dem Namen des Herstellungslandes suchen? Es wird wohl dasselbe sein wie für hölzerne Segelschiffe und Möwen, deren Flügel sich mit dem Wind drehen können.

Begehrtes Souvenir

Trendshopping Anfang Oktober fuhren wir wieder nach Hause. Das ist die Zeit, in der für die Läden auf Texel das Weihnachtsgeschäft beginnen soll. Dann wandern Badehosen in Schubladen oder Kisten, während Wollsocken und -decken neben Schaffellen platziert werden. Aber Corona hin oder her – auch neueste Trends vom Festland sind auf der Insel angekommen. Da räkeln sich Krokodile auf Teppichen, Bärenfelle fühlen sich nach synthetischem Plüsch an, aus Dschungel-Gegenden scheinen Stoffe und Pflanzen zu stammen. Die sind auch schon in dem ein oder anderen „In“-Lokal zu finden, wo bisher weiß-bläulich lackierte Bretter und Euro-Paletten zu einem Vintage-Look gehörten, der sich auch in den Binnen-Küchen der Urlauber gut machten. Für die Insel wird der „Urban Jungle“ bald zu wohl zu klein. Wir werden sehen – im nächsten Jahr.                                                                          CB