Derzeit findet in Düsseldorf eine riesige Kirmes statt. Sehr bunt ist alles dort – von der rosa Zuckerwatte und den metallisch glänzenden Luftballons bis zu den „Fahrgeschäften“, die in allen denkbaren Farbschattierungen glänzen: Menschenmengen schieben sich an den Attraktionen vorbei, und wie immer stöhnen die Schausteller-Familien wechselweise über Hitze oder Dauerregen.
Sommer eben. Auch zu erkennen an leeren Parkplätzen, wo vor Wochen die seit Corona-Beginn erworbene Caravans und Wohnmobile auf ihren Einsatz zu lauern schienen. Das Handy liefert stündlich andere Urlaubs-Impressionen. An manchen Tagen scheint es, als sei halb Deutschland aufgebrochen zum Baden an Kroatiens Küsten. Aber es gibt auch einsame Wanderer auf Pilgerpfaden oder abenteuerliches Grau aus Wolken und Wellen um ein Segelboot. Verreiste Nachbarn überlassen denjenigen, die zu Hause bleiben, die Nutzung des neu aufgestellten Swimmingpools.
Wenn nur die Nachrichten nicht wären, die pausenlos die Schrecken dokumentieren: Waldbrände, Prognosen über die Folgen schwindender Gas-Mengen und das Kontroll-Chaos an den Flughäfen sind da noch „leichte Kost“. Nicht gewöhnen kann ich mich an die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine und dann aus ganz anderen Regionen die Bilder hungernder Kinder wegen erschwerter Versorgung mit „Lebensmitteln“. Unbeantwortet bleiben die Fragen, was derzeit in Regionen wie Syrien, Afghanistan oder Somalia geschieht – und ob ich das wirklich auch noch erfahren will.
„Einfach mal die Welt abschalten“ hat Kurt Kister, lange Jahre Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“ seinen Text überschrieben, um dann zu konstatieren: „Weil das aber nicht geht, schaltet man die Nachrichten aus der Welt ab. Menschen mögen nur eine begrenzte Zeit lang überwiegend schlechte Nachrichten hören (müssen).“ Doch wer schafft das schon – und bietet nicht die „Tagesschau“ um 20 Uhr das nostalgische Gefühl der Verbundenheit mit Millionen anderer „User“?
Wo sich im Alltag immer wieder ein Gefühl der Vereinsamung aufdrängt, dazu auch manchmal Neid auf das ungetrübt erscheinende Sommervergnügen anderer. Nicht nur auf der Kirmes.

Am 150. Kriegstag stolperte ich heute im Kölner Vorort förmlich über rund 60 Menschen, die sich dort seit Kriegsbeginn jeden Samstag um 12 Uhr zu einer „Mahnwache – Frieden in der Ukraine und überall“ versammeln. Ein paar Bläser, ein Text- und Liedblatt, ein Mann mit Mikro und kleinem Verstärker. Die katholischen und evangelischen Gemeinden bereiten die Mahnwachen vor. Allein das Singen von „Hewenu schalom alejchem“ oder „Dona nobis pacem“ lässt meinen Atem fließen und auch ein paar Tränen. Der Körper erinnert sich an frühere Erfahrungen. Kraft und Zuversicht können sich ausbreiten, wenn ich mich traue, Angst und Erschrecken ebenso zu teilen wie Freude über Feste und gelungenes Leben.
Am Ende der Mahnwache steht ein übersetztes Gebet aus der Lutherischen Kirche in Russland und der orthodoxen Kirche in der Ukraine:
„Sieh herab auf die Klagen derer, die unter dem Krieg in der Ukraine leiden –
und auf alle, die sich vor einem größeren Krieg fürchten….
Lass uns alle abrüsten mit Worten und Taten…
Bewahre uns vor der Willkür der Mächtigen dieser Welt und bringe sie zur Erkenntnis ihrer Grenzen.“
