Diese Woche öffnet in Frankfurt am Main wieder die Buchmesse ihre Pforten. Voller Hoffnungen nach den letzten Corona-Jahren, aber auch mit neuen Sorgen um Lieferketten sowie steigende Papier- und Energiepreise. Dennoch wird es sicher wieder Verlagsvorschauen, Gratisexemplare von Zeitungen oder Zeitschriften und ökologisch korrekte Beutel geben, um all die literarische Beute nach Hause zu transportieren.
Es ist und war immer aufregend, für ein, manchmal auch zwei Tage*) auf dem Messegelände zu sein nach der Fahrt mit einem ICE voller lesender Menschen – wer hütet während dieser Zeit eigentlich die kleinen und großen Buchhandlungen im ganzen Land? Denn die ersten Tage ist die Messe für die „Fachbesucher*innen“ reserviert, gegen Ende der Woche dürfen sich alle in den Hallen drängen – vorbei an zwei Meter breiten Ständen wirklich kleiner Verlage oder über die üppig mit Plakaten und Büchern dekorierten Flächen der großen Verlage, von denen mehr als einige inzwischen zu Konzernen gehören. Autor*innen können gegen entsprechende Zahlung ihr Werk als „Selfpublisher“ vermarkten. Sie dürfen mit Papphockern werben, auf denen das Cover ihres Buches abgedruckt ist. (So war es jedenfalls 2018 bei meinem letzten Besuch – Georgien war das Gastland, diesmal ist es Spanien). Im Hintergrund der Stände haben die Messebauer Kammern abgetrennt, in denen Verlagsmenschen, Autor*innen und Händler in Ruhe ein Wiedersehen feiern oder sich in diesen digitalen Zeiten überhaupt erst persönlich kennenlernen, Ideen austauschen und Bestell-Listen für das Herbst- und Weihnachtsgeschäft ausfüllen. Kleine Werbegeschenke, große Namen, die sich geduldig interviewen lassen vor einer „Wand“ voll Exemplaren ihrer Neuerscheinung, Gedrängel um B-Prominente, die mit mehr oder weniger Unterstützung von „ghost writern“ die Bestseller-Listen stürmen wollen. Und die Möglichkeit, auszuruhen vor den Lese-Bühnen oder draußen auf dem Messegelände.
*) Unvergesslich die Übernachtung mit einer Freundin in einer unbekannten Altbau-Wohnung, deren Schlüssel ihr ein Freund überlassen hatte. Eine Entdeckungsreise, die mehr als zwei Sätze verdient.

„Lügen über meine Mutter“
Der Roman von Daniela Dröscher ist einer von sechs Titeln, die nominiert sind für den Deutschen Buchpreis, der heute Abend zum Auftakt der Messe verliehen wird. Egal, wer letztlich ausgezeichnet wird, das Buch hat mich fasziniert. Denn das Szenario – eine Familie, ein Dorf im Hunsrück in den 1980er Jahren- beamt nicht in Fantasy-Welten, sondern rückt sehr nah. Die Mutter strengt sich an, will beruflich weiterkommen, lernt und bleibt im Dorf des Mannes doch die Fremde. Sie genügt nicht. Ihr Mann wirft ihr permanent vor, zu dick zu sein, und macht sie damit für sein eigenes Scheitern etwa beim beruflichen Aufstieg verantwortlich. Diäten, FdH, ein Ballon in den Magen eingesetzt kein Zauber-Heilmittel bleibt unversucht, und es gibt auch wie im Märchen die böse Schwiegermutter. Tochter Ela schildert, wie innen und außen auseinanderklaffen und muss einräumen: „Schließlich war ich nicht nur Geisel, sondern auch Komplizin.“ Die Autorin sagte vor einigen Tagen im Interview mit dem österreichischen „Standard“: Dieser Frauenkörper, der beschämt wird, der nicht repräsentativ genug ist für die Angestelltenwelt des Vaters, ist ein Körper, der sich permanent abmüht. Heute würde man sagen, die Mutter beutet sich selbst aus…Wer fremd ist, ist nur gut, wenn er noch mehr leistet.“
Daniela Dröscher, „Lügen über meine Mutter“, Kiepenheuer&Witsch, Köln,24 €, e-book 19,99€
