Vorbemerkung: Dystopische Texte haben derzeit Konjunktur. Kein Wunder. Angesichts der Umweltschäden in Folge des Klimawandels und des anhaltenden russischen Angriffskrieges in der Ukraine lässt sich eine Zukunft der Katastrophen und Zerstörungen zeichnen. Keine Zeit für die Utopie eines guten Lebens friedfertiger Menschen in schönem Ambiente. Dabei fällt doch gerade die Masken-Pflicht der Corona-Epoche. Deshalb ein leicht aktualisierter Text von mir, sozusagen ein Ausblick auf die kommende Zeit des Karnevals und der zurückkehrenden Freiheiten.
Bereits bei ihrer ersten Kabinetts-Sitzung hatte die Regierung ein Wahlversprechen eingelöst. Sie verfügte, dass Feiern erste Bürgerpflicht sei. Die Verwaltungsbehörden wurden angewiesen, gleich nach Inkrafttreten der entsprechenden Gesetzesbestimmungen ein Kontrollsystem einzuführen und ähnlich der Verkehrssünder-Kartei Strafpunkte zentral zu registrieren.
Die Teilnahme an drei Festen pro Woche musste von da an mit Stempeln in einem passähnlichen Papier quittiert werden. Bei der Auswahl hielt sich die Regierung an ihr Wahlversprechen: „Freie Wahl der Feste“. Die Folge war, dass die sozialen Medien mit ihren Nachbarschafts-Netzwerken überquollen von Hinweisen auf Feiern von Kindergärten, und Tierschutzvereinen, vom Verband der Installateure oder der Initiative für Senioren-Waldbetreuung und vom Berufsverband der Dirigentinnen von Amateurkapellen. Die Bekleidungs-Branche verzeichnete steigende Umsätze, denn wer wollte schon gern im Abendkleid zum Grillfest der Texas-Freunde oder in der Jogginghose zum Cocktailempfang der Philatelisten. Mancher Alleinunterhalter ließ Verstärker und E-Piano gleich im Auto, da er von Termin zu Termin eilen musste. Die Friseurinnen und Friseure waren so gestresst, dass sie als besondere Note für ihre eigenen Feste vereinbarten, dort alle ungekämmt zu erscheinen. Da private Feiern nur ab 40 Gästen als Fest im Sinne der Gesetzesregelung galten, wurden erste Hochzeiten bereits ins Ausland verlegt oder ein kleiner Kreis traf sich heimlich nach Büroschluss.
Bald kam es zu ersten Zwischenfällen, weil etwa Straßenbahn-Personal oder Polizei wegen Übermüdung ein Verkehrschaos verursachten. Kinder nutzten den Unterricht, um einmal ohne die Anleitung eines professionellen Animateurs zu spielen. Proteste wurden laut. Eine Bürgerinitiative wies durch Mund-zu-Mund-Propaganda auf bestimmte Veranstalter hin. Hinter festlich dekorierten Fassaden boten die – unbemerkt von staatlicher Kontrolle – Raum, sich auszuruhen, zu lesen, ins Gespräch zu kommen. Ähnlich Wünsche äußerten auch immer mehr Menschen in den Meinungsumfragen der Regierung. Die nächste Kabinettsrunde will nun über eine mögliche Lockerung der Gesetzes-Regelungen beraten, ohne erneut die Gefahren von Einsamkeit und Alltagstrott heraufzubeschwören. CB
