Schlaganfall – anderes Glück im Advent (Folge 1)

Es bedarf doch ein wenig Training, mit nur einer Hand das Smartphone zu bedienen und zu halten. Wenn der linke Arm sich zwar zum Himmel streckt, die Hand aber herunterbaumelt. Der fehlt fast jede Kraft zuzugreifen, nicht zu reden von dem Varianten-Reichtum der Bewegungen meiner fünf Finger, an die ich bis zum 2.Dezember nie einen Gedanken, geschweige denn ein Gefühl von Dankbarkeit verschwendet habe.

Hier mein Narrativ des Ereignisses an diesem Samstagmorgen: Nach dem Einkaufen wollte ich das Fleisch einer Wildschweinkeule zuschneiden für ein italienisches Ragout. Doch der linke Arm streikte, die Hand griff daneben beim Versuch eine Schublade zu öffnen. Vor einigen Wochen hatte ich irgendwo gelesen, dass es verschiedene Symptome eines Schlaganfalls gibt. Nicht nur Sprachstörungen, ein schiefer Mund – das hatte ich bisher gespeichert. Allein zuhause rufe ich die 112 an, der Rettungswagen mit zwei Sanitätern kommt fast gleichzeitig mit meinem Mann und dem Hund, beide fassungslos. Eine rasante Fahrt zur Klinik in die Stroke Unit, wo Ärztin und Schwestern schon warten. CT und Lyse, also die Infusion eines Enzyms, das Blutgerinnsel in den Hirnarterien auflösen kann. Dazu Fragen an mich, die ich schaffe zu beantworten – nur bei einem Zungenbrecher verheddere ich mich.

Was folgt ist die Intensiv-Station. 24 Stunden Liegen, verkabelt: Pulsmesser, Dauer-EKG, Sauerstoff-Unterstützung durch die Nase, Flüssigkeit tropft in mich hinein. Regelmäßig kontrollieren Menschen meine Augenpupillen, prüfen Körper-Reaktionen. Am Bett griffbereit mein Alarmknopf. Eine Vielzahl rhythmischer Geräusche, dazwischen schrille Töne, Telefonklingeln, Rufe, eilige Schritte – im Rückblick rund um die Uhr.

erinnert an Geisterstunde: Lüften auf der Intensivstation

Dreimal in 24 Stunden ist Schichtwechsel – während der Übergabe höre ich neben Tassenklappern durch die offene Tür teilweise die Beschreibungen der zu betreuenden Patientinnen und Patienten. Während der drei Tage erlebe ich, was durch die mündliche „Stille Post“ aus meinem Narrativ wird: die Wildschwein-Keule mutiert zum Rehbraten, mein Mann hat den Rettungswagen gerufen…Keine Sorge- viel schriftlich Fixiertes, Messwerte und Berichte füllen meine Akte.

Fortsetzung folgt. Für heute nur eine Zeitreise zum 24.Dezember:

 Seit dem 11.Dezember zuhause liegen hinter mir drei anstrengende Tage in einer ambulanten neurologischen Reha. Vorherrschend nun das Gefühl, die linke Seite werde zunehmend neugierig wieder mitzumischen angesichts der unterschiedlichen Methoden beginnend mit A wie Arm-Labor. Ich werde Zeit und Geduld brauchen, besser Hilfe schätzen lernen müssen und endlich die Vorteile der Langsamkeit entdecken.

Dankbar bin ich heute schon allen, die mir digital Kraft senden, ob von der spanischen Nordküste, aus Bayern und anderen wichtigen Teilen Deutschlands oder auf dem Weg nach Litauen. Außerdem die in der Nähe, die mich freundschaftlich ermutigen, wenn wir uns begegnen, die während meiner Corona-Tage (nicht schlimm) manches vor der Tür deponierten. Und alle, die uns im Alltag unterstützen, vom Einkaufen und Putzen bis zum Wäsche Falten oder Bügeln.

„Das mache ich doch mit Links“ wird so bald nicht von mir zu hören sein.

4 Kommentare zu „Schlaganfall – anderes Glück im Advent (Folge 1)

  1. Hallo liebe Christel, das hast Du sehr anschaulich geschildert. Danke! Alles Gute für Deine Linke Seite wünscht Gundel 

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  2. Ich bin dir für dieses Tagebuch ungemein dankbar. Es zeigt mir, dass man mit der richtigen Unterstützung (fast) alles meistern kann. Ich wünsche dir weiterhin gute Besserung und dass dich die Reha dort hin bringt, wo du hinkommen möchtest. LG, josch

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  3. Liebe Christel, alles Gute für den weiteren Verlauf, euch dreien ein schönes Weihnachtsfest und ein gutes und gesundes 2024. Aus der Ferne…. lass dich einmal drücken, positiv denken und zulassen.
    Lg Harald&Steffi

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