Stoppen, Denken und andere Ideen gegen die Angst

In Kriegszeiten kann der reißende Nachrichtenstrom nicht schnell genug kanalisiert werden in Richtung der „User“.  Denn dann prasselt es „Klicks“, Rekorde bei der Einschaltquote:  Manchmal liefern gleich zwei Laufbänder am Bildschirm-Rand unter den Sondersendungen im Fernsehen das Aktuellste – ein Superlativ, der sich mit der Schnelligkeit der Datennetze eingeschlichen hat in die Sprache, was kaum noch jemand stört. Das Wort „aktuell“ lässt niemanden mehr aufhorchen.

Vor der Konkurrenz in den Medien die Nachricht veröffentlichen – auf den Monitoren in der U-Bahn-Station, als „Push-Meldung“ oder im Netz.  Dabei wird hingenommen, dass Sekunden nicht reichen zu überprüfen, ob die Angaben- Ort, Zeit, Handelnde, Ereignis- stimmen. Gerade in Kriegszeiten gilt es auch zwischen Propaganda und Wirklichkeit zu unterscheiden. Gibt es eine zweite Quelle, die Angaben bestätigt oder eine andere Version schildert? Reicht die begrenzte Zeichen-Zahl, um wenigstens Einschränkungen einzufügen wie „nach Darstellung von“ oder „übermittelte Bilder sollen zeigen…“.

Zeit brauchen auch die Journalist*innen, die sich darauf spezialisiert haben, Manipulationen aufzudecken, indem sie Satellitenbilder, ältere Aufnahmen oder Fotos aus anderen Perspektiven auswerten, um Manipulationen nachzuweisen. Währenddessen werden Internet und soziale Medien wie Facebook, WhatsApp oder Instagram geflutet mit Fotos, Hilfsaufrufen, Karikaturen, klugen Sätzen und Aktionen für die Ukraine.  Was also tun? Den Strom der Bilder und Nachrichten vorbeirauschen lassen, den übernächsten Urlaub planen, die Angst unter die Decke kriechen lassen und auf dem Sofa zu verharren? Großzügig „likes“ und Herzchen verteilen und Beiträge teilen? Oder zum „Solidaritätskonzert“ gehen?

Ich bin auch reingefallen auf einen „europaweiten“ Appell. Es ging darum, an einem Abend die Lichter im Haus abzuschalten, um Putin zu zeigen, dass wir lieber im Dunkeln sitzen statt russisches Gas und Öl zu kaufen. Weder ein Datum noch ein Absender waren genannt. Doch Teilen ist ja einfach und geht in Sekunden. Die Lehre daraus: erst einmal innehalten und durchatmen, nachdenken.

Immerhin schafften es am 4.3. allein in Deutschland mehr als 200 Radioprogramme zur gleichen Zeit John Lennons „Give Peace a Chance“ zu senden. Ein Moment der Gemeinsamkeit, die Wirksamkeit dieses Songs von 1975 rührte an die Emotionen und schuf Gemeinschaft.

Die gelb-blaue Friedensdemo in Köln am Rosenmontag hat mich berührt wegen der überwältigenden Vielfalt der wohl 250 000 Menschen, die der Überfall Putins auf die Ukraine und seine Folgen nicht kalt lässt: die Karnevals“jecken“ mit den ernsten Mienen, die kreativen Pappschilder, die sehr alten Menschen, Familien und einzelne wie der Mann neben uns, der mit Paketschnur ein selbst kopiertes Putin-Foto mit einem roten Stopp-Schild übermalt hatte. Das ist tröstlich und lässt bescheiden werden. Es reicht zu unterstützen, was ich für sinnvoll halten. Den Expert*innen kann ich die Analysen überlassen und selbst mehr Wissen sammeln über die Geschichte der Ukraine und der gesamten Region. Gut, dass die öffentlich-rechtlichen Sender nicht nur ihr aktuelles Angebot erweitert haben, sondern auch eine Fülle an Dokumentationen aus den Archiven holen und ihr Streaming-Angebot erweitern.

Dankbar für mein bisheriges Leben ohne Kriegs-Erfahrungen werde ich endlich das Buch lesen „FLUCHT eine Menschheitsgeschichte“ von Andreas Kossert. Vorab hier schon einmal sein Resümee:

„Flüchtlinge und das, was sie erleben und erleiden, führen uns vor Augen, wie zerbrechlich unsere scheinbar so sichere Existenz ist. Sie verschieben die Sicht auf die Welt, weil sich mit jeder Fluchtgeschichte und jedem einzelnen Flüchtling die Frage stellt, wie fest wir wurzeln.“  

Ein Kommentar zu „Stoppen, Denken und andere Ideen gegen die Angst

  1. Du beschreibst sie treffsicher, liebe Christel, die Gefühle und Gedanken in dieser wilden Zeit und Welt. Gestern schickte ich einer Freundin eine Sprachnachricht mit Geburtstagsglückwünschen. Ich nahm sie mit der Astronautin Jessica Meir mit zur Weltraumstation ISS. Eine kleine Reise, um für ein paar Minuten dem Wahnsinn zu entfliehen.
    Liebe Grüße, Jutta

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