600 Meter Köln: Hängeschlösser und ein Mahnmal, das bleiben soll

Gestern der Plan: mit dem Hund durch die Stadt spazieren statt bei Regenwetter in den Wald. Rechtsrheinisch aufgewachsen habe ich als Kind in der Straßenbahn immer einen Platz gesucht, von dem ich bei der Fahrt über den Rhein das Panorama der gar nicht so alten „Altstadt“ und den Dom sehen konnte.  Diesmal sollte es zu Fuß über die Hohenzollern-Brücke gehen. Über zehn Jahre ist es her, dass Funny als Welpe dort vor Schreck über das Vibrieren der Eisenkonstruktion durch die Züge keine Pfote mehr rührte.

Vor dem Aufgang zur Brücke eine Informationstafel „Römerstraßen – erlebbar und erfahrbar“. Mit dem Fahrrad oder zu Fuß soll Kulturlandschaft entdeckt werden – bis „Belgica“ oder die Eifel. In meiner Kindheit ging es „Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit“. Zum Beispiel unter dem Rathaus-Neubau. Da träumte ich von eigenen Entdeckungen, denn überall in Köln gab es in den 1960er Jahren fast täglich archäologische Sensationen.

Wenige Meter weiter ist Geschichte in den Asphalt eingefügt: Ein Hinweis auf das „Messelager“ neben der Brücke. Es war ab 1939 Sammel-, Auffang- und Gefangenenlager mitten im Messekomplex. Meine Großmutter erzählte, wie sie auf der Brücke aus dem Zugabteil heruntersehen konnte auf die Menschen im Lager. Ab Mai 1940 wurden auch Sinti und Roma von dort nach Polen deportiert. Was ich erst seit gestern weiß: die Stadt Köln selbst betrieb das Messelager als „Außenlager des KZ Buchenwald“.

Wer auf den Boden blickt, kann auch die Wege der Menschen verfolgen, die deportiert wurden im 2.Weltkrieg.

Auf dem Fußweg der Hohenzollernbrücke sind Leute jeden Alters unterwegs, Sprachfetzen geben Rätsel auf. In den Gesichtern lässt sich die ganze Palette der Gefühle erkennen: Neugierde, Freude, Nachdenklichkeit, Ärger, Verliebtheit oder Einsamkeit… Funny kassiert wie immer Lächeln der Entgegenkommenden. Auf der einen Seite geht der Blick über den Rhein, auf der anderen am Gitter zu den Gleisen hängen dicht an dicht „Liebesschlösser“ mit eingekratzten Namen und Daten. Ein Physiker hat schon 2015 ihre Zahl auf 450 000 geschätzt. Liegen die Schlüssel alle im Rhein? Emotionen, Versprechen, Nähe – was lässt sich überhaupt verschließen, was braucht Freiheit? Darüber ließe sich nachdenken, würde der Hund sich nicht gerade blitzschnell ein nicht zu identifizierendes Etwas einverleiben.

Weiß, wer die Liebesschlösser verkauft, um deren Haltbarkeit?

Die Hohenzollern-Brücke wurde von 1907 bis 1911 errichtet, beschädigt im Zweiten Weltkrieg und bis 1959 wiederaufgebaut. Den Bau aus der Zeit der Preußenherrschaft zieren auch heute noch vier Reiterstandbilder. Richtung Dom spazieren wir auf die Kehrseite von Kaiser Wilhelm II. und seines Pferdes zu. Davor staune ich über ein nicht so monumentales Kunstwerk aus rostfarbenem Metall in Form einer Pyramide. Deren Spitze schneidet in einen beschädigten stilisierten Granatapfel. „Dieser Schmerz betrifft uns alle“, ist in drei Sprachen zu lesen Um den Sockel Berge welkender Blumen. Rhein-Kreuzfahrer*innen machen Fotos.

Das Mahnmal, dessen Standort an der Brücke bleiben soll. Es erinnert daran, dass – wie es ein Armenier sagte- jede Familie im Völkermord Verwandte verloren hat.

Was ich erfahre: das Mahnmal erinnert an den Völkermord an den Armeniern 1915 und stand zum 2018 zum ersten Mal an dieser Stelle. Im Juni 2016 erkannte der Bundestag den Völkermord trotz massiver Proteste der Türkei an. Parlamentspräsident Lammert wies in seiner Rede darauf hin, dass Deutsche Reich habe damals Mitschuld auf sich geladen. Aufarbeitung der Vergangenheit sei Voraussetzung für Versöhnung und Zusammenarbeit. Eine Woche nach der Aufstellung entfernte die Stadt Köln das Denkmal. Zum Gedenktag musste es auch vor dem 24.4.2022 per LKW herbeigeschafft werden. Diesmal soll das Mahnmal aber bleiben als „ein öffentlicher Ort des Erinnerns, der Trauer, des Gedenkens und der Abkehr von Rassismus und Nationalismus“  (mehr Informationen z.B. www.voelkermord-erinnern.de).

409,19 Meter ist die Hohenzollern-Brücke lang. Nur eine kleine Strecke in Köln. Aber was für eine Zeitreise durch die Geschichte, denke ich beim Vorbeigehen an dem Reiter-Standbild. Wie viele dicke Stränge, rostende Drähte und dünne Fäden, die sich kreuz und quer wie ein Netz durch die Zeiten und über die Erde ziehen.

Während ich den Text beende, sichert UNO-Generalsekretär Guterres die Untersuchung der Kriegsverbrechen in der Ukraine zu.

Ein Kommentar zu „600 Meter Köln: Hängeschlösser und ein Mahnmal, das bleiben soll

  1. Dankeschön für diesen informativen und geschichtsträchtigen Spaziergang, liebe Christel. Es fühlte sich für mich an, als hätte ich Fanny und Dich begleitet. 😉
    Liebe Grüße – Karola ☺️

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