„Was sammelst Du eigentlich außer Büchern?“ Noras Frage hat Nachdenken ausgelöst, auch biographisches. Das klingt großspurig, dabei meine ich damit die schon früh begonnene Suche nach weiblichen Vorbildern, die nicht der Norm der Hausfrau und Mutter in den 1960er Jahren entsprachen, als Berufstätigkeit noch die Zustimmung des Ehemannes voraussetzte.
Karin H. war meine Kunstlehrerin und eine der ganz wenigen Frauen, die „ihr Ding machten“ und Alleinleben nicht als Makel empfanden. Sie hatte gerade an dem Mädchengymnasium angefangen zu unterrichten nach Jahren an einer „Privatschule“ in der Schweiz, was für uns Ende der 1960er Jahre schon einen Hauch von Glamour verbreitete. Von ihren Ferienreisen brachte sie uns Skizzenbücher mit. Wenige Striche reichten ihr, die verschiedenen Landschaften in ihrer Unterschiedlichkeit zwischen Seen und Bergen, Sonne und Wolken zu verewigen. Als habe es noch keine Kodak-Kameras mit Abzügen in heute längst verblichener Farbigkeit gegeben.
Ihre Schülerinnen nahm sie einfach mit zu „Vernissagen“ oder zum Kölner Kunstmarkt, der ab 1967 stattfand. (Die Arbeit von Joseph Beuys, “The pack“ (Das Rudel), mit VW-Bus und 24 Holzschlitten wurde 1969 als erstes zeitgenössisches deutsches Kunstwerk für über 100 000 DM verkauft. ) Es gab Installationen statt gerahmter Motive in Ölfarben. Karin H. ließ uns bestaunen, womit sie sich selbstverständlich umgab. Schnell versank sie in gestenreichen Gesprächen mit Künstlern und Galeristen. Für mich lagen Welten zwischen der Kunst und dem Alltag mit Schule und Vorort. Unvergesslich der zur Handtasche umfunktionierte Plüschhund. Er baumelte am Arm der „Muse“ eines Künstlers, der Atelier und Wohnung unter der Fahrbahn im Inneren einer Brücke bezogen hatte. Karin H. fuhr einen schwarzen VW-Käfer, der das so alt war wie ich. Mit aufgeklapptem Dach ragten oft große Papp-Rollen weit über die Rücksitze.
Eben habe ich im Internet nach Flamenco-Kursen für Ü60-Menschen wie mich gesucht. Beim Wiedersehen nach Jahrzehnten hatte Karin H. strahlend von diesem Tanz erzählt, den sie während ihrer Zeit an der deutschen Schule in Madrid gelernt hatte. Ihre ergrauten Locken wippten, selbst im Sitzen stapften ihre Füße auf. Ein letztes Bild von ihr.

Bücher als Begleiter können eine Alternative sein. „Stellen Sie sich Ihre Familiengeschichte als einen Band vor, den Sie im Regal stehen haben, den Sie herausnehmen und nur darin blättern, wenn Sie es wirklich möchten.“ Der Vorschlag stammt von einer Krankenhaus-Seelsorgerin und blieb im Gedächtnis. So wie die Bücherregale in der Berliner Altbau-Wohnung meiner inzwischen verstorbenen Kollegin Susanne H. – ein Wall von Wissen und Poesie. Vergangenheit und Gegenwart, trat sie mit einer Palette von Gefühlen und klarem Verstand entgegen. Empörung und Wut, wie Menschen mit Menschen umgehen. Präzise Aufmerksamkeit für das, was anderen zu klein für eine Meldung erschien – wegen der Entfernung oder einfach wegen fehlendem Gespür und Wissen für die sich nähernde Bedrohung. Dazu ihre Gastfreundlichkeit, die warme Umarmung am Eingang und die Essen an dem langen Tisch mit den unterschiedlichen Stühlen, wenn ich sie besuchte. Ihre Erzählungen von Familie und Freundschaften, die weniger werdenden Zigaretten. Groß und rot dominierte ihre Kaffeetasse jahrelang den Schreibtisch in der Redaktion. Sie hat sie zurückgelassen beim Umzug von Köln nach Berlin. Jetzt ist die Tasse, in die mehr als nur ein Schluck beruhigenden Tees passt, schon lange neben meinem Notebook im Einsatz. Eben keine „Sammeltasse“ mit Goldrand und Ranken-Deko.

Nora taucht wieder auf. (Zur Erinnerung; das ist die Frau mit der Frage nach meinen Sammel-Vorlieben.) Durchs Fenster sehe ich auf ein Beet, aus dem eine Sonnenblume aus Blech ragt. Im letzten Herbst hat Nora sie uns mitgebracht – als die Ukraine noch in weiter Ferne lag und der nicht enden wollende Krieg nicht mehr war als ein Wort mit drohendem Unterton. CB
CB
Hallo Christel,
Hallo Christel, wie wunderbar mal wieder an die Zeit mit Frau H. erinnert zu werden,Ein herrlich unkonventioneller Unterricht mit vielen Anregungen über die Kunst hinaus. vom knatternden Käfer weiss ich noch, dass die Spritanzeige nicht zuverlässig funktionierte. Der Zeiger wippte immer hin und her. wir drohten also immer irgendwo liegen zu bleiben. Auch die Vernissagen in den Kölner Museen waren immer ein Erlebnis. Besonders in der Lovis Corinthausstellung war ich sicher 5 mal um im Blau der Walchenseebilder zu versinken.
Mit dem sammeln ist es bei mir so eine sache. Auch ich bin nun eher in der Phase des Ballastabwerfens.
Da sind Bücher auch dabei,. Die Idee mit den Briefmarken an Bethel ist gut, die werde ich aufgreifen..
Vielleicht sind es bei mir die Bilder. Ende des Jahres werde ich meinen Raum im gemeinsamen Atelier hier am Scholtenhof abgeben. Und wohin mit meinen in der langen zeit angesammelten Materialien???und den Bildern???
Ich werde ausmisten müssen und einiges kann auf unseren himmlisch großen Speicher…Eine schwere Entscheidung….was bleibt…was kann weg….uff
Aber da müssen wir alle mal durch. Manche früher ,manche später.
bei mir geht es da eigentlich noch. Wenn ich da an meine Brüder denke, au weh, echte Jäger und sammler sind beide. Da ist einiges reif fürs Museum (Computer und Uhren) aber ich habe ja noch Zeit bis zum Jahresende
liebe Grüße und schreib schön weiter so…..Ulla
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