Neues Jahr, neue Ideen für den Zettelskrom. Zum Beispiel mehr über die tollen Frauen zu schreiben, denen ich begegnen durfte. Wie Philomena Franz, die am 28.Dezember in Rösrath bei Köln im Alter von 100 Jahren gestorben ist. Sie war 62 als ich sie dort traf: in ihrem Gesicht spiegelten sich Trauer und Wut, aber es konnte unvermittelt auch ein Lächeln hervorbrechen. Die Auschwitz-Überlebende stellte damals ihre Autobiographie vor: „Zwischen Liebe und Hass – ein Zigeunerleben“. Das Titelbild der ersten Ausgabe zeigte einen Planwagen, der von einem Pferd gezogen wird. Damit wird nur eines der vielen Klischees über eine Minderheit bedient, die heute auch vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma vertreten wird. Deren Vorsitzender Rose erklärte, Philomena Franz habe sich nie mit der fehlenden Anerkennung des Unrechts abgefunden. Ihrem Wirken um Versöhnung und Verständigung gehöre unser aller Respekt.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth würdigte Franz als unermüdliche Kämpferin für das Gedenken an die NS-Opfer. Als eine der ersten habe die Sintiza in den 1970er Jahren ihre Stimme erhoben und öffentlich über ihre Erfahrungen in den Konzentrationslagern besprochen. Dass Philomena Franz in den kommenden Jahrzehnten zur Zeitzeugin und Autorin werden sollte, hatte seinen Ursprung in der Diskriminierung ihres ältesten Sohnes in einer Kölner Schule, der als „dreckiger Zigeuner“ beschimpft worden war. Als Gegenmaßnahme und um Verständnis zu wecken verfasste und erzählte sie „Zigeunermärchen“ für Kinder, die 1982 auch als Buch erschienen. 1985 dann ihre Autobiographie. „Ich musste über meine Leiden sprechen. So ist es zu verstehen, dass ich gesagt habe, ich habe dieses Manuskript unter Tränen und auf den Knien geschrieben“.

Das Grauen hatte sich langsam gesteigert für die renommierte Sinti-Musikerfamilie. Der Vater Cellist, die Mutter Sängerin. Philomena erinnert sich, wie sie als siebenjährige Tänzerin und Sängerin auftrat. Es gab Engagements in der Liederhalle Stuttgart, dem Lido in Paris. Doch 1938 musste Philomena die Mädchenoberschule in Stuttgart verlassen wegen ihrer „rassischen“ Zugehörigkeit. Im Jahr danach der „Festsetzungserlass“, statt Auftritten nun Arbeitseinsätze und Deportation. Unter ihrem Mädchennamen Philomena Köhler wird sie 1944 im „Zigeunerlager Auschwitz-Birkenau“ registriert, dann Ravensbrück. Im Buch schildert sie auch, wer ihr half, wie ihr die Flucht gelingt, sie bei Kriegsende neue Ausweispapiere erhält. „Erst sehr viel später erfahre ich, dass fast meine ganze Familie ins Gas geschickt wurde.“– Nach dem „Nullpunkt“ tritt Philomena als Sängerin amerikanischer Schlager auf – mit ihrem späteren Mann und ihrem Bruder, einem Jazz-Geiger. Die Gruppe spielt für General Eisenhower und General de Gaulle. 1946 wurde die erste Tochter geboren, vier Söhne sollten folgen.
Übrigens: Ihr Zigeunerwagen „war nicht ein Leiterwagen mit einer Plane. Schon eher ein Wohnwagen“, schreibt Philomena Franz über ihre Kindheit. „Acht Meter lang und 2,50 Meter breit. Damals hatte er schon 2000 Mark gekostet. So viel Geld musste man für ein Haus bezahlen…Im Schrank das schönste Porzellan und Geschirr.“ Vier Pferde zogen den Wagen. Den Winter verbrachte die Familie in Rohrbach, später in einem größeren Haus in Bad Cannstatt. Nach dem Krieg schliefen sie auf Matratzen in einem Ami-Schlitten, in Herbst und Winter bat Philomena Franz bei Fremden darum, eine Nacht in der Küche die Betten aufzuschlagen. Bis ihnen 1954 in Köln eine Polin, deren Mann Deutscher und Kohlenhändler war, im Hof eine Waschküche anbot. Ofen, Sofa, später ein Herd- „Jetzt waren wir natürlich erst einmal Menschen“. 1960 erst erhält Philomena Franz die erste Haftentschädigung. Sie leidet an Angstzuständen und Depressionen und ist doch überzeugt: „Wenn wir hassen, verlieren wir.“ Auch im hohen Alter habe sie noch unermüdlich für Versöhnung und interkulturelles Miteinander gekämpft, meint Bergisch Gladbachs Bürgermeister Stein. Das drückt auch der Titel ihres schmalen Gedichtbandes aus: „Tragen wir einen Blütenzweig im Herzen, so wird sich immer wieder ein Singvogel darauf niederlassen.“
Aktuelle Hinweise auf die Bücher von Philomena Franz finden sich in ihrem Wikipedia-Eintrag

Liebe Christel,
eine ganz berührender Bericht über eine „Starke Frau“. Dazu gibt es auch in der RP momentan eine Serie. Da wird mir doch wieder Mal klar, wie behütet und konfliktarm wir Nachkriegskinder aufgewachsen sind. Das sich immer wieder zu vergegenwärtigen und weniger über Pillepalleprobleme zu jammern, sollte uns doch öfter gelingen.
Auch wenn ich natürlich in Gedanken an meine Enkeltochter (1,5 Jahre) und deren Eltern ,mir Sorgen um die Zukunft der nächst Generation mache. Aber bleiben wir weiter optimistisch ohne zu Vergessen…….wie Philomena Franz!!!!
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