Über kindliche Kraft und die Sehnsucht nach Glamour und Frieden

Als ehemalige Nachrichtenredakteurin scheitere ich in diesen Tagen an e i n e m Blog-Text. Zu rasch wechseln Themen und Perspektiven allein schon wegen des Plurals der Kriege. Dazu die Gewalt zwischen Palästinensern und Israelis, die „aufflammt“. Nein, es handelt sich nicht um ein Naturereignis wie ein Blitz oder das Wetterphänomen „El Nino“. Der russische Krieg gegen die Ukraine ist nicht „ausgebrochen“, sondern der Einmarsch über die Grenze war akribisch vorbereitet. Auf der Rückfahrt vom Texel-Urlaub sahen wir eine niederländische Panzer-Kolonne, die über eine Autobahn-Brücke rollt  –  blitzartig verdrängten Fragen nach dem Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine die Bilder von Meer, weitem Strand und blauem Himmel.

„Ferien vom Krieg“ – darüber hatte ich vor Jahrzehnten geschrieben. So konnten in der Eifel Kinder aus Nordirland in Gastfamilien ein paar Wochen verbringen, als in ihrer Heimat noch Mauern Stadtteile voneinander trennten und in fast jeder katholischen und protestantischen Familie Opfer von Anschlägen zu betrauern waren. Um Ferien vom Krieg bemühte sich auch ein eher kleiner Verein in und nach den Jahren des gewaltsamen Auseinanderbrechens Jugoslawiens. Kinder der verfeindeten Volksgruppen lernten sich vorsichtig tastend und spielerisch kennen. Sie waren untergebracht zum Beispiel in kroatischen Pensionen am Meer, denen damals die Touristen fehlten. Ich erinnere mich auch an die AWO in Düsseldorf, in deren Räumen sich jeden Sonntag bosnische Flüchtlingsfrauen treffen konnten, während im Backofen der Lehrküche Kaffeebohnen rösteten. Betreut von Therapeutinnen malten die Kinder in bunten Farben und schwarz oder grau, was sie erlebt hatten. Vor einigen Tagen stieß ich bei „arte“ auf eine Reportage über ein Netzwerk französischer Vereine, das ukrainische Flüchtlingskinder in Gastfamilien vermittelt. Die meisten werden wegen ihres nur vorübergehenden Schutzstatus nach einiger Zeit wieder gehen müssen. Die Dokumentation zeigt beispielhaft, wie schwierig die Situation für die ukrainischen Kinder, aber auch die Gastfamilien ist.

Bei der Verleihung des Karlspreises an das ukrainische Volk und dessen Präsident Selenskyj in Aachen war mehrmals die Rede von den Kindern und Enkeln, denen ein Leben in Freiheit und Frieden ermöglicht werden müsse.  

Was auffällt bei den hier lebenden Flüchtlingen aus der Ukraine wie aus anderen Ländern: Bei allen Einschränkungen und Ängsten eint sie die Sehnsucht nach ein bisschen Schönheit und Glamour. Die knallrot geschminkten Lippen der jungen Frau erzählen davon, eine mit Blumen bestickte Bluse oder eine Tüte Süßigkeiten, die geteilt wird. Ein Messing-Kerzenständer, ein paar Kristallgläser, ein ausgemusterter Kinderroller oder ein riesiges Plüschtier in pink und hellblau werden auf einem der Nachbarschafts-Flohmärkte für ein paar Münzen gekauft und mit einem Lächeln vorsichtig weggetragen.

Die Sehnsucht nach Glamour und Freiheit drückt nicht nur der ESC aus. Sie findet sich auch in einem Spielfilm wieder, der ab den 1990er Jahren im Gazastreifen spielt. Wer nicht gleich wegklickt  wird überrascht und verzaubert. Die wahre Geschichte:  Schon als Kind will Mohammed Sänger werden. Er, seine Schwester und Freunde versuchen listig und mit großer Willenskraft gegen alle Widerstände an Geld für Instrumente zu kommen, verkaufen Fisch am Strand, werden von einem Schmuggler betrogen. Der Tunnel nach Ägypten ist ein Szenenbild für den schwierigen Alltag im jahrzehntelangen Konflikt mit Israel. Dagegen setzt der Film die Kraft der Kinder und ihrer Familien. Mohammed bringt es als Sänger auf Hochzeiten nur zu lokalem Ruhm, unterstützt von Schwester Nour, die schwer erkrankt. Später muss sich Mohammed als Student und Taxifahrer durchschlagen. Ermutigt durch eine Freundin schafft er es trotz aller Schwierigkeiten in ein Vorab-Casting für die zweite Staffel der panarabischen Fernseh-Show „Arab Idol“ – und steht dann mit 22 Jahren im Finale. Da nutzt der Film die Originalaufnahmen von 2013, als alle im Gazastreifen mitfiebern für „ihren“, den einzigen Palästinenser im Finale. Eine wahre Geschichte über die Kraft der Musik und eines Sängers, die völlig andere Bilder und Emotionen der Menschen im Gazastreifen hinterlassen als die aktuellen Nachrichten.    CB

Sehenswert und aufzufinden in der arte-Mediathek:
„Ein Lied für Nour“ – Spielfilm von Hany Abu-Assad, nur noch bis 6.6. abrufbar
„RE: Zurück in die Ukraine? – Was wird aus den minderjährigen Flüchtlingen?“ 30 Min. Reportage

2 Kommentare zu „Über kindliche Kraft und die Sehnsucht nach Glamour und Frieden

  1. Danke für die sensible Kommentierung dieser schwierigen Zeit. Sie lassen mich nicht los und helfen mir, meine eigene Wirklichkeit als großes Geschenk wahrzunehmen.

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